Dieser Beitrag soll einen Überblick zum Patellofemoralen Schmerzsyndrom (PFS) geben. Das PFS stellt sich mit Schmerz am vorderen Kniegelenk, genauer um und hinter der Patellar (die Kniescheibe) dar. Die Schmerzen im Patellorfemoralen-Gelenk treten häufig unter Gewichtsbelastung auf (Crossley 2016). Der Patient gibt meist einen schmerzhaften Bereich an, was konträr zur Tendinopathien (Sehnenbeschwerden) am vorderen Kniegelenk steht, welche sich oft punktueller darstellen. Der Schmerz tritt oft beim Joggen, Rennen, Kniebeugen und sportartspezifischen Belastungen, wie zum Beispiel beim Volleyball spielen auf. Seltener treten die Beschwerden bei Belastungen auf, welche Sehnen höher belasten, wie beispielsweise Springen, Landen und schnellen Richtungswechseln.
Weitere differentialdiagnostische Pathologien sind die Arthrose, speziell die patellofemorale Arthrose und das instabile Patellofemoral Gelenk (eventuell Luxationen).
Beim PFS lässt sich kein klarer struktureller Befund im bildgebenden Verfahren erkennen.
Das Krankheitsbild betrifft häufiger Frauen (Vora et al., 2018) und die Beschwerden persistieren häufig. Im 1-jahres-Follow-Up stellt sich nur 1/3 der betroffenen als symptomlos dar.
Welche Risikofaktoren gibt es? (Neal 2019)
- Reduzierte Quadrizeps-Kraft
- Erhöhte Adduktoren-Kraft
Nicht negativ scheinen das Geschlecht (auch wenn Frauen häufiger betroffen sind), die Körpergröße, das Gewicht, der BMI, die Kraft der unteren Extremität sowie ein dynamischer Knievalgus (Das Abweichen des Kniegelenks während der Bewegung nach innen) zu sein.
Diese Faktoren sind nicht komplett!
Der Auslöser für das Syndrom scheint initial eine Überbelastung zu sein. (Powers et al. 2017) Wichtig ist, dass Überbelastung sehr individuell zu betrachten ist. Hier ist auf das Prinzip von Belastung und Belastbarkeit zu verweisen. Ist das Kniegelenk wenig Belastbar kann eine geringe Belastung bereits zur Überlastung führen. Ein gut trainiertes Kniegelenk kann einer hohen Belastung standhalten und entsprechend hoch müsste die Intensität der belastenden Aktivität sein. Entsprechend kann die Aktivität die zur Überlastung führt sehr individuell sein.
Beim PFS müssen über das Kniegelenk, dem lokalen Faktor, noch weitere Faktoren betrachtet werden.
- Proximale Faktoren (Faktoren oberhalb des Kniegelenks):
Die Hüftmuskulatur – Störungen der Innervation, Kraft, Schnellkraft. In der Dynamik lässt sich wohlmöglich ein vergrößerter Valgus erkennen - Distale Faktoren (Faktoren unterhalb des Kniegelenks):
Fußgewölbe, Fußmuskulatur (Mølgaard et al. 2018) - Der lokale Faktor:
Sulcuswinkel (Trochleawinkel). Wir kennen keinen optimalen Winkel und der Unterschied des Winkels bei symptomlosen Menschen ist nicht signifikant. (Hochreiter et al. 2020, Fick et al. 2020)
Generelle Quadrizepsatrophie -> spezifische Atrophien der Quadrizepsköpfe sind nicht belegt. (Crossley et al. 2019)
Die Reihenfolge hat keine Wertung.
All diese Faktoren erklären, jedoch nicht das häufige Chronifizieren des Syndroms.
Um den gesamten Menschen zu therapieren und nicht nur das Kniegelenk empfiehlt sich das Aufstellen des eines Treibermodells. Bei solch einem Modell werden Treiberfaktoren identifiziert, welche Einfluss auf die Symptomatik haben könnten. Hier lässt sich beispielsweise an soziale Faktoren, wie die familiäre Unterstützung oder die Rolle des Trainers denken. Des Weiteren muss die Komponente der Zentralen Sensibilisierung oder eine Kinesiophobie (Bartholomew et al. 2019), die Angst vor Bewegung, bedacht werden.
Was kann bei der physiotherapeutischen Befunderhebung positiv sein?
- Krepitationen scheinen häufiger bei Betroffenen aufzutreten. Keine Angst – diese sind harmlos.
- Muskuläre (unflexible Hamstrings, Waden) und neuronale Flexibilität können reduziert sein. (Femoralis-Slump-Test) (Vegstein 2019), (Huang 2015)
- Zur Identifikation distaler Faktoren Fußgewölbe – Aktive Tests: Muskuläre Kraft (Quadrizeps, Hüfte), Squat, Step down (Qualität und
Quantität), Exzentrik-Step-Test
Fragebögen empfehlen sich – Anterior Knee Pain Scale, KOOS, TSK, FABQ
Tests:
- Kniebeuge bis 90 Grad Flexion -> Reproduziert oft den Schmerz
- Step-Down-Test qualitative Bewertung: 5 Wiederholungen werden angeschaut und die Position der Kniescheibe in Relation zum Fuß bewertet.
- Starker Valgus: Kniescheibe medial der Großzehe
- Moderater Valgus: Kniescheibe über halb der Großzehe
- Normales Aliment: Kniescheibe lateral (außerhalb) der zweiten ZeheBeckenstellung wird beurteilt! Kein Abkippen
Rumpfstellung wird beurteilt! Keine Lateralflexion (Seitneigung des Rumpfes)
- Mit dem Exzentrik-Step-Test können Dominanzen der einzelnen Faktoren ermittelt werden:
➔ Dafür müssten Schmerzen während der Exzentrik auftreten.
- Zusätzlicher Widerstand für die Abduktoren über Widerstandsband. Bilaterale (Beidseitige!) Zusatzbelastung für Abduktoren.
Gibt der Patient hier weniger Schmerzen an, so kann der Hüftfaktor (Proximaler Faktor) in den Vordergrund gestellt werden.
- Zusätzlicher Widerstand für die Beckenrotatoren (bilateral) über Widerstandsband.
Gibt der Patient weniger Schmerzen an, so können die Beckenrotatoren in den Vordergrund gestellt werden.
- Lokaler Faktor: Therapeut gibt Schub auf die Patellar nach medial (innen) und lateral (außen) und fragt die Schmerzveränderung ab. Kann Hinweis auf sinnvolle Tapeanlage geben.
- Distaler Faktor: Fußgewölbe z. B. über ein Handtuch unterstützen.
Konservative Therapie (Willy 2019)
- Patienten Management -> Modifikation von Aktivitäten/Sport (Biomechanische Faktoren z. B. beim Joggen anpassen), Edukation (Schmerzedukation – Nutzen der Schmerzampel) (De Oliviera Silva 2020), Symptomatische Therapie, Trainingslehre! (Langsamer, progressiver Anstieg der Belastung – keine Sprunghaften Belastungssteigerungen)
- Aktive Therapie (Sollte im Mittelpunkt stehen!) -> Beweglichkeitstraining, Koordination, Ausdauer, Kraft
- Begleitende Maßnahmen -> Passive Therapie, Hilfsmittel
Literatur:
Crossley KM, Stefanik JJ, Selfe J et al. 2016 patellofemoral pain consensus statement from the 4th international patellofemoral pain research retreat, Manchester part 1: terminology, definitions, clinical examination, natural history, patellofemoral osteoarthritis and patient-reported outcome measures. British Journal of Sports Medicine. 2016; 50: 839.
Powers CM, Witvrouw E, Davis IS et al. Evidence-based framework for a pathomechanical model of patellofemoral pain: 2017 patellofemoral pain consensus statement from the 4 th international patellofemoral pain research retreat, Manchester, UK: part 3. British Journal of Sports Medicine. 2017; 51: 1713.
Fick CN, Grant C, Sheehan FT et al. Patellofemoral pain in adolescents. Understanding patellofemoral morphology and its relationship to maltracking. American Journal of Sports Medicine. 2020; 48: 341.
Hochreiter B, Hess S, Moser L et al. Healthy knees have a highly variable patellofemoral alignment: a systematic review. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy. 2020; 28: 398.
Crossley KM, Cowan SM. Vastus Medialis Obliquus (VMO) Retraining or Graduated Loading Programme for Patellofemoral Pain: Different Paradigm With Similar Results? British Journal of Sports Medicine. 2019; 53: 917.
Mølgaard CM, Rathleff MS, Andreasen J et al. Foot exercises and foot orthoses are more effective than knee focused exercise in individuals with patellofemoral pain. Journal of Science and Medicine in Sport. 2018; 21: 10.
Bartholomew C, Lack S, Neal B. Altered pain processing and sensitization is evident in adults with patellofemoral pain: a systematic review including meta-analysis and meta-regression. Scandinavian Journal of Pain. 2019; 20: 11.
Vegstein K, Robinson HS, Jensen R. Neurodynamic tests for patellofemoral pain syndrome: a pilot study. Chiropractic&Manual Therapies. 2019; 27: 26.
Huang BY, Shih YF, Chen WY et al. Predictors for identifying patients with patellofemoral pain syndrome responding to femoral nerve mobilization. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation. 2015; 96: 920
De Oliviera Silva D, Pazzinatto MF, Rathleff S et al. Patient education for patellofemoral pain: a systematic review. Journal of Orthopaedic&Sports Physical Therapy. 2020; doi: 10.2519/jospt.2020.9400.
Orientiert an der Masterclass Patellofemorale Schmerzen von Frank Diemer
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